Generationskonflikt.
Nun ja.
Meine Generation trat ihren Hippie-Eltern mit "Null-Bock" entgegen. Null-Bock war so gesehen auch das Einzige, mit dem unsere Eltern überhaupt nicht gerechnet hatten. Wenn man sich in meiner Generation unattraktiv machen wollte, gab man "politisches Interesse" zu. Das schlug alles andere. Selbst "Briefmarkensammler" genossen in meiner Generation mehr Ansehen. Und dieses war schon unterirdisch.
Ein wenig politisches Engagement flammte während der ersten Diskussionen um die Einführung der Studiengebühren auf. Ein wenig. Wir versuchten es mit Demonstrationen und mussten bekümmert feststellen, dass wir in der Presse nur als Randbemerkung auftraten. "Düsseldorf. Gestern kam es rund um den Landtag aufgrund einer Demonstration zu weitreichenden Verkehrsbehinderungen." oder ähnlich magere Kommentare waren 1998 (oder war's 1997?) der Presse zu entnehmen. Bei wenigen wurde immerhin erwähnt, warum überhaupt demonstriert worden war. Die Information, welche Straßen blockiert worden waren und welches Chaos dadurch entstand, erschien den meisten Journalisten wichtiger zu sein. Und das Internet hatte damals bei weitem noch nicht den heutigen Stellenwert. Das soll heißen: Im Internet hätten wir hauptsächlich Nerds und Gleichaltrige erreicht (und selbst bei denen war es schwierig, da maximal die Hälfte einen Internetanschluss zu Hause hatte). Ja, mal ganz vom grundlegenden Desinteresse an Politk abgesehen, wussten wir auch gar nicht, wie wir überhaupt politisch aktiv werden könnten - wenn wir denn wollten. Abgesehen von "kindgerechten" Anleitungen, um alle paar Jahre zwei Kreuzchen zu machen, war unser Politikunterricht durchweg sehr abstrakt gehalten und für aktuelle politische Themen war schon gar kein Platz.
Abgesehen von den Öko-Freaks, die Anti-Atom-Demos geiler fanden als Rockkonzerte, ein paar Antifa-Aktivisten, die Glatzen-klatschen geil fanden, und ein paar Neo-Nazis, die Zecken-Klatschen geil fanden, gab's in meiner Generation doch keinerlei "politisches Engagement". Auch die Bereitschaft auf Demos gegen die Einführung von Studiengebühren herum zu turnen, flachte nach den ersten enttäuschenden Presseberichten sehr schnell ab und wich schnell wieder dem totalen politischen Desinteresse. Als die Studiengebühren dann kamen, hatten die meisten aus meiner Generation sowieso nur noch ein Jahr Studium vor sich. Das steckt man schon mal weg. Der Galgenhumor der nachkommenden Spaß-Generation hatte auch nicht zu mehr politischen Engagement geführt.
Die Diversifizierung der Gesellschaft machte auch nicht mehr vor den einzelnen Generationen halt. Abgesehen davon, dass es in meiner Generation (im Gegensatz zu den 68-ern) kaum noch politische Musik gab, gab's auch kaum noch verbindende Musik zwischen den verschiedenen Schichten (bzw. Interessensgruppen) einer Generation. "Smells like Teen Spirit" war einer der wenigen schichtübergreifenden Songs. Auf Anhieb fällt mir auch kein anderer Song ein, der dem gerecht werden würde. Dass sich eine ganze Generation für ein gemeinsames Ziel stark macht, ist heutzutage eher unwahrscheinlich. Haupt- und Realschüler sowie deren Eltern interessierten die Studiengebühren auch gar nicht. Sie lachten sich eher ins Fäustchen, dass es diesmal die eingebildeten Schnösel vom Gymnasium träfe. Als ich mal zu bedenken gab, dass die Ausbildungsplätze rar werden und die Haupt- und Realschüler dann gegenüber den Abiturienten dumm darstehen könnten, kam nach kurzer Verdutzung nur: "Ist doch wie immer. Wir sind die gearschten. Dann beziehen wir halt Sozi." Tja, so kann man's natürlich auch sehen.
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Verliert in unserer "medialen Gesellschaft" die "reale Politik" die "virtuelle Jugend"?
Man hat bereits ein paar Generationen verloren. Nicht ganz, weil es "ganze" Generationen in dem Sinne nicht mehr gibt. Doch weder von der Null-Bock noch von der Spaß-Generation noch von den Koma-Säufern sollte man sich allzu viel versprechen. Geschweige denn eine Massenbewegung. Politisches Desinteresse ist an der Tagesordnung. Wenn, dann kümmert man sich in diesen Generationen allenfalls um seinen eigenen Scheiß - und dieser ist sehr vielfältig, so dass jegliches Engagement schnell in der Masse untergeht und eingestampft wird.
Das Internet bietet eine neue Plattform für Politik. Eine Plattform, welche entgegen aller anderen noch nicht verkrustet ist und noch nicht von Lobbyisten beherrscht wird. Doch die Internetnutzer lassen sich seit längerem nicht mehr in "eine Generation" packen.
Verlieren... verlieren...
Kommt drauf an, wie man das Wort "verlieren" gebraucht.
Dass immer mehr Bürger das Interesse an Politk verloren hatten und (bis auf ein paar Protest-Wahlen) sich auch gar nicht mehr die Qual der Wahl antaten, scheint bislang wenig Politiker gestört zu haben.
WAS hatte man denn verloren?
Die Wahlen reichten, um die Sitze nach wie vor unter den altbekannten Parteien aufzuteilen und politischen Nonsense zu produzieren. Ja, ohne allzu viele politisch interessierte Bürger regiert es sich recht "ungestört". Gravierende Unterschiede in den politischen Zielen diverser Parteien gibt's doch schon länger nicht mehr. Und die Presse spielte meistens auch mit und berichtete munter übers "politische Schattenboxen". Wie viele politische Entscheidungen gab es in den vergangenen Jahren, welche weit entfernt vom Willen des Volkes sind?
Das Internet macht die Sache nun ein wenig schwieriger. Den Bürgern fällt es nunmehr wieder wesentlich leichter, ihre Meinung öffentlich kund zu tun und sogar von anderen Bürgern gehört zu werden. Die Presse hatte in den letzten Jahrzehnten ja viele, der auf Demonstrationen genannten Argumente, einfach so unter den Tisch fallen lassen. Das erleichterte die öffentliche Meinungs-Bildung im Sinne der "Machthabenden". Aber das Internet erleichtert nun das Finden von Gleichgesinnten und die Koordination von gemeinsamen Aktivitäten über größere Entfernungen. Hier und da sprossen plötzlich Unmengen an Vereinsgründungen aus dem Boden. Und nicht genug, die ersten kamen auch schon auf die Idee, eine eigene Partei zu gründen. Ja, da besteht durchaus die Gefahr, dass sich aus dem Internet eine neue Partei erheben und auch was vom Regierungskuchen abbekommen könne. Nun könnte man wirklich was verlieren...
Wäre jedenfalls zu hoffen, dass die Politik wieder ein wenig lebhafter würde.
streulicht