Sterbehilfe gegen körperlichen Widerstand

politische Aspekte von Rechtsprechung und Gesetzesvorhaben; rechtliche Aspekte von politischem Agieren

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Charon-
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Re: Sterbehilfe gegen körperlichen Widerstand

Beitrag von Charon- »

carn hat geschrieben:Gab es in unserem Nachbarland irgendwann einen Dammbruch?
Zur Auswahl stehen "Ja" und "Nein" ggf. mit Erläuterung warum irgendwas ein Dammbrauch war oder auch nicht.
Eher umgekehrt: Erst solltest du erläutern, wann du von einem "Dammbruch" ausgehst, und dann kann man darüber reden, ob das gerade in den Niederlanden erfolgt.
carn hat geschrieben:Bleiben wir mal bei der aktuellen Konstellation:
Wo ganz oben steht:"Warning: this is not an official translation. Under all circumstances the original text in Dutch language of the Criminal Code (Wetboek van Strafrecht) prevails"
carn hat geschrieben:Ist es da echt übertrieben, wenn die Sta zügig handelt und versucht, Beweise zu sichern, außer dem was die VERDÄCHTIGE von sich aus Preis gegeben hat?
Es liegt ja nicht nur vor, was die VERDÄCHTIGE vorgebracht hat, sondern auch das, was die Kommission dazu gesagt hat. Ob die Kommission schon Ermittlungen angestellt hat, weiß man nicht.
carn hat geschrieben:b jemand, der sich gerade dagegen wehrt, getötet zu werden, damit zum Ausdruck bringt, dass er doch keinen ernsthaften und ausdrücklichen Willen hat, getötet zu werden
Oh, da gibt es ausreichend Diskussionspotential, alleine schon die Frage, ob die Betroffene sich bewußt dagegen gewehrt hat, die Spritze zu bekommen, oder ob es sich um eine Reflexreaktion gehandelt hat, die vllt. gar nichts mit den tatsächlichen Umständen zu tun hatte, sondern mit den verwirrten Sinnen auf Grund der Betäubung. Wußte die Betroffene, dass eine Ärztin ihr gerade eine Injektion geben wollte, oder sah sie vielmehr vor sich das "grauenvolle Tentakelmonster". Das setzt natürlich voraus, dass es überhaupt eine aktive Abwehr gab, vielleicht bewegte sich die Patientin auch bewußtlosen Zustand einfach nur unkoordiniert? Aber da wird es Aufgabe des Gerichts sein, sich ein Bild zu verschaffen und das zu bewerten.
carn hat geschrieben:Oder ist das normal, dass wenn einer eine Selbstanzeige wegen möglichen Totschlags macht, dass man den dann nicht verhört, nicht den Tatort untersucht, nicht Unterlagen zu dem Vorgang sucht, nicht die Tatwaffe zu sichern versucht, nicht versucht Zeugen aufzutreiben?
Es ist keine Selbstanzeige, es ist eine Anzeige der zuständigen Kommission, die in der Angelegenheit ggf. bereits Ermittlungen angestellt hat.
carn hat geschrieben:Und zwar in Zeitfenstern so von 1-2 Wochen?
Es ist ja nun nicht so, dass die gute Frau 2 Wochen vor dem Artikel verstorben wäre, oder die Anzeige am Tag ihres Todes bei der Polizei einging, denn unter Berücksichtigung der Fristen kann es gut und gerne anderthalb Monate her sein, dass die Frau gestorben ist, bevor der Fall überhaupt bei der Polizei angezeigt wurde. Da gibt es nicht mehr viel, was die Polizei untersuchen könnte, bzw. das, was noch da ist, war dann schon über einen Monat da, ob es da Sinn hat, JETZT SOFORT alles sichern zu wollen, was bereits seit einem Monat "rumliegt" ziehe ich zumindest Zweifel.

Und um nochmal eine Einschätzung der Frage nach dem Dammbruch zu beantworten: Ein Dammbruch wäre für mich, wenn die Ärzte mit den eingeräumten Möglichkeiten sorglos umgingen und z.B. die Kommission ihre Aufgabe nicht mehr wahrnimmt, sondern nur noch abnickt. Dem ist aber nicht so, im Gegenteil, die Kommission hat hier genauso gearbeitet, wie es vorgesehen war. Die behandelnde Ärztin bekommt ein Gerichtsverfahren und der Fall wird aufgearbeitet. Insofern, kein Dammbruch meiner Meinung nach.
Um der allgemeinen Sprachverwirrung des Siezens entgegenzuwirken, biete ich jedem Nutzer das dänische Umgangsduzen an.
carn
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Re: Sterbehilfe gegen körperlichen Widerstand

Beitrag von carn »

Cordelia hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Ich frage es nochmal, vielleicht wird es ja mal beantwortet:
Gab es in unserem Nachbarland irgendwann einen Dammbruch?
Zur Auswahl stehen "Ja" und "Nein" ggf. mit Erläuterung warum irgendwas ein Dammbrauch war oder auch nicht.
Was willst Du mit dieser Frage denn bezwecken?
Herausfinden, was denn für dich ein Dammbruch wäre.
Cordelia hat geschrieben: Der Vergleich mit den Niederlanden ist angesichts der strukturellen und rechtlichen Unterschiede gänzlich untauglich, dazu bedienst Du Dich gezielt eines Einzelfalles der selbst in den Niederlanden nicht den Normalfall darstellt weshalb ja die Staatsanwaltschaft involviert ist, um ein vermeintliches Problem zu identifizieren. Deine gesamte Argumentation geht fehl und baut nur auf einer reflexartigen Empörung die Deine einseitige Sicht eines angeblichen Dammbruchs bestätigen soll.
Gerade wegen der rechtlichen Unterschiede und der anderen Einstellung zum Thema in der Niederlande kann die Betrachtung (nicht Vergleich) der Niederlande hilfreich sein, um zu verstehen, wie sich unterschiedliche Einstllungen und rechtliche Rahmen auswirken.

Und bezüglich des Einzelfalls, etwa 20% aller Euthanasiefälle sollen ENTGEGEN DEM GESETZ nicht der zuständigen Kommission berichtet werden.

Wie aufgezeigt, ist jeder einzelner solcher Fall eigentlich auch bei Einwilligung des Patienten eine Straftat mit bis zu 12 Jahren Haft; eigentlich müssten die Behörden dort ständig damit beschäftigt sein, diese Fälle aufzudecken und zu Verfolgen, wenn sie an der Einhaltung der Gesetze interessiert wären.

Tun sie aber nicht.

Und wenn das Interesse an der Einhaltung der Gesetze gering ist, vor allem bei Stas und Polizei, dann nenne ich das Dammbruch, weil nämlich dann die von den Erstellern des Gesetzes vorgesehenen Grenzen und Sicherheitsmechanismen VOLLKOMMEN WERTLOS sind.

Cordelia hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Nein, du hast keine Ahnung davon. Denn die Dammbruch-Problematik läuft nun einmal darauf hinaus, dass nachher etwas passiert, was keiner vorher offiziell beabsichtigt hat; folglich sind diese Vorschläge nicht danach zu bewerten, was die Autoren wollten, sondern welche Möglichkeiten sie den Befürwortern von allen Arten von Sterbehilfe geboten hätten, das von ihnen gewünschte doch zu bekommen.
Du willst es offenbar einfach nicht verstehen, denn all diese Möglichkeiten gab es schon vorher und es kam zu keinem Dammbruch. Das ist nun mal Fakt. Die von Dir angewandte slipperly-slope-Agumentation dagegen ist eine rhetorische Manipulation um Ängste und Hysterie zu schüren die schärfere Gesetze rechtfertigen sollen. Ähnliches ist derzeit beim Terrorwahn und in der Flüchtlingspolitik zu beobachten, Themen die Du ja auch gerne bedienst.
"das von ihnen gewünschte doch zu bekommen" = Ansatzpunkte zu haben, um POLITISCH leichter das von ihnen gewünschte erreichen zu können; bringt also nichts, wenn du 10mal darauf hinweist, was einzelne Vorschläge vorgesehen haben, sondern es kommt darauf an, wie sich die Umsetzung des entsprechenden Vorschlags auf die politisch-rechtliche Debatte ausgewirkt hätte.
carn
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Re: Sterbehilfe gegen körperlichen Widerstand

Beitrag von carn »

Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Gab es in unserem Nachbarland irgendwann einen Dammbruch?
Zur Auswahl stehen "Ja" und "Nein" ggf. mit Erläuterung warum irgendwas ein Dammbrauch war oder auch nicht.
Eher umgekehrt: Erst solltest du erläutern, wann du von einem "Dammbruch" ausgehst, und dann kann man darüber reden, ob das gerade in den Niederlanden erfolgt.
1. Wenn die Einhaltung der bei Gesetzeseinführung vorgesehenen Sicherheitsmechanismen und Beschränkungen letztlich kaum oder gar nicht mehr durchgesetzt werden; denn dann bekommt man den Zustand ohne die vom Gesetzgeber eigentlich als zwingend notwendig angesehenen Regeln, womit man auf jeden Fall einen anderen Zustand bekommt als vom Gesetzgeber beabsichtigt; sowas würde ich grundsätzlich als Dammbruch bezeichnen, selbst wenn die praktischen Auswirkungen nicht eindeutig sind.

und/oder

2. Wenn es zu starkem Anstieg von Fallzahlen kommt, der wohl auf eine drastische Verschiebung der Gründe hindeutet, aus denen individuell und aus ärztlicher Sicht ein Selbstmord "sinnvoll" ist; bzw. wenn viele Leute Euthanasie in Situationen in Anspruch nehmen, über die bei Gesetzeseinführung noch explizit im Parlament gesagt wurde, dass in den Situationen Euthanasie doch keine Rolle spielen soll.


Und um es klar zu stellen: die sich nach einem Dammbruch ergebende Situation muss nicht zwangsläufig "schlecht" aus der allgemeinen Intentionen hinsichtlich Liberalisierung von Euthanasie sein; z.b. wenn die gesetzlichen Sicherheitsmechanismen in der Praxis sich als völliger Quatsch herausgestellt haben (komtm ja vor, dass Parlamente sich irgendwas scheinbar super schlaues überlegen und das war es dann doch nicht) und man dann halt zu informellen anderen Regeln übergegangen ist; aber es bleibt dann dabei, dass etwas passiert, was vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt, gewollt und/oder berücksichtigt war und die gesetzlichen Grundlagen damit ihre praktische Bedeutung verlieren bzw. verloren haben.

Wenn man halt sagt, irgendwas soll unter Bedingungen A in Situation B legal sein und zwar nur genau dann und nachher wird auch unter Bedingungen C in Situation D dasjenige massenhaft getan und der Staat agiert nicht, dann ist das ein Dammbruch.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Ist es da echt übertrieben, wenn die Sta zügig handelt und versucht, Beweise zu sichern, außer dem was die VERDÄCHTIGE von sich aus Preis gegeben hat?
Es liegt ja nicht nur vor, was die VERDÄCHTIGE vorgebracht hat, sondern auch das, was die Kommission dazu gesagt hat. Ob die Kommission schon Ermittlungen angestellt hat, weiß man nicht.
Die Kommission hat keine Ermittlungsbefugnisse; wenigstens keine Durchsuchungen und ähnliches; die arbeiten nur mit dem, was die Ärzte berichten, und ggf. fragen noch mal nach.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:b jemand, der sich gerade dagegen wehrt, getötet zu werden, damit zum Ausdruck bringt, dass er doch keinen ernsthaften und ausdrücklichen Willen hat, getötet zu werden
Oh, da gibt es ausreichend Diskussionspotential, alleine schon die Frage, ob die Betroffene sich bewußt dagegen gewehrt hat, die Spritze zu bekommen, oder ob es sich um eine Reflexreaktion gehandelt hat, die vllt. gar nichts mit den tatsächlichen Umständen zu tun hatte, sondern mit den verwirrten Sinnen auf Grund der Betäubung. Wußte die Betroffene, dass eine Ärztin ihr gerade eine Injektion geben wollte, oder sah sie vielmehr vor sich das "grauenvolle Tentakelmonster". Das setzt natürlich voraus, dass es überhaupt eine aktive Abwehr gab, vielleicht bewegte sich die Patientin auch bewußtlosen Zustand einfach nur unkoordiniert? Aber da wird es Aufgabe des Gerichts sein, sich ein Bild zu verschaffen und das zu bewerten.
Klar. Nur dazu ist es eigentlich zwingend, Unterlagen zu sichten (z.b. wer hatte auf der Station Dienst? => sind alles potentielle Zeugen hinsichtlich der Frage nach dem "Tentakelmonster") und Zeugen zu befragen (z.b. die lieben Verwandten, die beim festhalten halfen); andernfalls weiß man ja nichts außer den Angaben der Verdächtigen selbst anhand dem man die Frage nach dem "Tentakelmonster" beurteilen kann; die Angaben der Verdächtigen selbst sollte man aber bei einem möglichen Delikt mit bis zu 12 Jahren Haft doch bitte soweit als möglich anderweitig überprüfen.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Oder ist das normal, dass wenn einer eine Selbstanzeige wegen möglichen Totschlags macht, dass man den dann nicht verhört, nicht den Tatort untersucht, nicht Unterlagen zu dem Vorgang sucht, nicht die Tatwaffe zu sichern versucht, nicht versucht Zeugen aufzutreiben?
Es ist keine Selbstanzeige, es ist eine Anzeige der zuständigen Kommission, die in der Angelegenheit ggf. bereits Ermittlungen angestellt hat.
Das ist keine Ermittlungsbehörde.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Und zwar in Zeitfenstern so von 1-2 Wochen?
Es ist ja nun nicht so, dass die gute Frau 2 Wochen vor dem Artikel verstorben wäre, oder die Anzeige am Tag ihres Todes bei der Polizei einging, denn unter Berücksichtigung der Fristen kann es gut und gerne anderthalb Monate her sein, dass die Frau gestorben ist, bevor der Fall überhaupt bei der Polizei angezeigt wurde. Da gibt es nicht mehr viel, was die Polizei untersuchen könnte, bzw. das, was noch da ist, war dann schon über einen Monat da, ob es da Sinn hat, JETZT SOFORT alles sichern zu wollen, was bereits seit einem Monat "rumliegt" ziehe ich zumindest Zweifel.

Und um nochmal eine Einschätzung der Frage nach dem Dammbruch zu beantworten: Ein Dammbruch wäre für mich, wenn die Ärzte mit den eingeräumten Möglichkeiten sorglos umgingen und z.B. die Kommission ihre Aufgabe nicht mehr wahrnimmt, sondern nur noch abnickt. Dem ist aber nicht so, im Gegenteil, die Kommission hat hier genauso gearbeitet, wie es vorgesehen war. Die behandelnde Ärztin bekommt ein Gerichtsverfahren und der Fall wird aufgearbeitet. Insofern, kein Dammbruch meiner Meinung nach.
Und wenn ein relevanter Prozentsatz der Euthanasiefälle entgegen dem Gesetz nicht der Kommission gemeldet würden?
Charon-
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Re: Sterbehilfe gegen körperlichen Widerstand

Beitrag von Charon- »

carn hat geschrieben:etwa 20% aller Euthanasiefälle sollen ENTGEGEN DEM GESETZ nicht der zuständigen Kommission berichtet werden
Sagt wer?
carn hat geschrieben:letztlich kaum oder gar nicht mehr durchgesetzt werden
Ist im vorliegenden Fall ja nicht geschehen, im Gegenteil.
carn hat geschrieben:Wenn es zu starkem Anstieg von Fallzahlen kommt
Es ist ein "Dammbruch", wenn mehr Leute ein gesetzlich zugelassenes Mittel nutzen?
carn hat geschrieben: der wohl auf eine drastische Verschiebung der Gründe hindeutet


Ähm, wie wäre es, wenn man im Falle steigender Fallzahlen erstmal untersucht, woran es liegt, anstatt direkt aus den Fallzahlen die Schlußfolgerung zu ziehen, die dazu passen? Gestiegene Fallzahlen könnten ja auch daraus resultieren, dass mehr Leute aus z.B. Deutschland in die Niederlande reisen, um die gesetzlichen Regelungen dort zu nutzen, weil es in Deutschland diese Rechtslage nicht gibt.
carn hat geschrieben:Die Kommission hat keine Ermittlungsbefugnisse; wenigstens keine Durchsuchungen und ähnliches
Dass die Kommission keine Ermittlungsbefugnisse hat, steht wo? Und was willst du mit diesen Durchsuchungen, die Tat ist unstreitig, auch der Tatablauf ist in keiner Weise zweifelhaft, alles, was hier zu prüfen ist, ist ein evtl. Rechtfertigungsgrund. Im Übrigen habe ich Zweifel daran, dass die Kommission keine Zeugen befragen kann bzw. dies nicht gemacht hat, bevor sie entscheidet, dass die ethischen Grenzen überschritten wurden.
carn hat geschrieben: Nur dazu ist es eigentlich zwingend, Unterlagen zu sichten [..] und Zeugen zu befragen
Und woher nimmst du nun wieder das Wissen, dass die Kommission, bzw. die StA dies nicht bereits getan hat?
carn hat geschrieben:Und wenn ein relevanter Prozentsatz der Euthanasiefälle entgegen dem Gesetz nicht der Kommission gemeldet würden?
Wenn eine Tötung auf Verlangen nicht gemeldet wird, handelt es sich um Mord und damit ein Verbrechen, schlicht und ergreifend. Auch dann wäre es aber kein Dammbruch, ein Dammbruch wäre es erst, wenn ein solcher Fall bekannt wird, die StA aber nicht handelt, weil man davon ausgeht, dass bei rechtzeitiger Bekanntgabe an die Kommission diese kein Problem gesehen hätte.
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carn
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Re: Sterbehilfe gegen körperlichen Widerstand

Beitrag von carn »

Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:etwa 20% aller Euthanasiefälle sollen ENTGEGEN DEM GESETZ nicht der zuständigen Kommission berichtet werden
Sagt wer?
http://www.thelancet.com/journals/lance ... 4/abstract

"In 2010, 77% (3136 of 4050) of all cases of euthanasia or physician-assisted suicide were reported to a review committee (80% [1933 of 2425] in 2005)."

100%-77% = 23% werden nicht berichtet.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:letztlich kaum oder gar nicht mehr durchgesetzt werden
Ist im vorliegenden Fall ja nicht geschehen, im Gegenteil.
Das ist eben abzuwarten; aber da möglicherweise 20%+ aller Fälle von aktiver Sterbehilfe entgegen dem Gesetz möglicherweise nicht der zuständigen Kommission gemeldet werden, womit JEDER EINZELNE SOLCHER FALL mit bis zu 12 JAHREN HAFT zu ahnden wäre (und das sind über die Jahre tausende Fälle), ist eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Durchsetzung der Gesetze seitens der Behörden nicht vollkommen unangemessen.


Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Wenn es zu starkem Anstieg von Fallzahlen kommt
Es ist ein "Dammbruch", wenn mehr Leute ein gesetzlich zugelassenes Mittel nutzen?
Nein, weshalb ich ja die Einschränkung im Nebensatz angefügt habe.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben: der wohl auf eine drastische Verschiebung der Gründe hindeutet


Ähm, wie wäre es, wenn man im Falle steigender Fallzahlen erstmal untersucht, woran es liegt, anstatt direkt aus den Fallzahlen die Schlußfolgerung zu ziehen, die dazu passen? Gestiegene Fallzahlen könnten ja auch daraus resultieren, dass mehr Leute aus z.B. Deutschland in die Niederlande reisen, um die gesetzlichen Regelungen dort zu nutzen, weil es in Deutschland diese Rechtslage nicht gibt.
Richtig; mit der Formulierung meinte ich, dass es darauf ankommt, ob die genauere Untersuchung des Anstiegs sowas ergibt oder zumindest stark darauf hindeutet. edit: Aber man sollte einen starken Anstieg auf jeden Fall dahingehend untersuchen.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Die Kommission hat keine Ermittlungsbefugnisse; wenigstens keine Durchsuchungen und ähnliches
Dass die Kommission keine Ermittlungsbefugnisse hat, steht wo? Und was willst du mit diesen Durchsuchungen, die Tat ist unstreitig, auch der Tatablauf ist in keiner Weise zweifelhaft, alles, was hier zu prüfen ist, ist ein evtl. Rechtfertigungsgrund. Im Übrigen habe ich Zweifel daran, dass die Kommission keine Zeugen befragen kann bzw. dies nicht gemacht hat, bevor sie entscheidet, dass die ethischen Grenzen überschritten wurden.
Habe bisher nie irgendwo was darüber gelesen, dass die Kommission andere Befugnisse hat als eben die Ärzteberichte zu lesen und entweder an Sta weiterzuleiten oder es sein zu lassen, wenn eben nichts bedenkliches ersichtlich ist. Sie soll gerade keine quasi Staatsanwaltschaft sein, sondern eine Ethikkommission.

Da es ferner in Rechtsstaaten eher unüblich ist, Ermittlungsbefugnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft auf Dritte zu übertragen, ist die Vermutung, diese Kommission hätte solche Befugnisse, des Belegs bedürftig und nicht umgekehrt; ferner fand sich im betreffenden oben verlinkten englisch übersetzten Gesetzestext hinsichtlich Sterbehilfe nichts davon.

Und bezüglich letzterem, seit wann verzichten Polizei und Staatsanwaltschaft darauf irgendwas über die Aussage desjenigen hinaus zu ermitteln, der sich ggf. eines Tötungsdeliktes schuldig gemacht hat?

Also Anruf bei Polizei:
"Hallo, hab Einbrecher mit legaler Schusswaffe in Notwehr erschossen; er hatte ein Messer dabei und wollte mich angreifen. Meine Frau will jetzt bald sauber machen, wann kann die Leiche weggeräumt werden?"
Polizei:
"Kein Problem, da sich aus ihrer Aussage nichts ergibt, dass sie nicht in Notwehr gehandelt haben, erübrigen sich natürlich weitere Untersuchungen; Streife und Leichenwagen dürften in 1 Stunde da sein, um die Leiche abzuholen, danach kann ihre Frau alles schön gründlich sauber schruppen; ihre legale Schusswaffe sollten sie jetzt schon mal wieder ordnungsgemäß wegschließen, ihre Unterlagen hinsichtlich der Waffe müssen sie aber nicht unbedingt bereithalten, sie haben ja gesagt, dass es eine legale war; einen schönen Tag noch."

So sollte das üblicherweise in einem Rechtsstaat ablaufen?
Ernsthaft?
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben: Nur dazu ist es eigentlich zwingend, Unterlagen zu sichten [..] und Zeugen zu befragen
Und woher nimmst du nun wieder das Wissen, dass die Kommission, bzw. die StA dies nicht bereits getan hat?
Einerseits, dass ich nie irgendwo gelesen habe, dass die sowas machen; und andererseits, dass die kaum Zeit dafür haben dürften, dass in vielen Fällen zu tun; die sind personell gar nicht zu anderem in der Lage als Berichte zu lesen und ggf. telefonisch oder schriftlich nachzufragen.

Die hocken ja auch geografisch nicht überall und können deshalb gar nicht einfach irgendwen laden oder irgendwo Unterlagen beschlagnahmen.
Charon- hat geschrieben:
carn hat geschrieben:Und wenn ein relevanter Prozentsatz der Euthanasiefälle entgegen dem Gesetz nicht der Kommission gemeldet würden?
Wenn eine Tötung auf Verlangen nicht gemeldet wird, handelt es sich um Mord und damit ein Verbrechen, schlicht und ergreifend. Auch dann wäre es aber kein Dammbruch, ein Dammbruch wäre es erst, wenn ein solcher Fall bekannt wird, die StA aber nicht handelt, weil man davon ausgeht, dass bei rechtzeitiger Bekanntgabe an die Kommission diese kein Problem gesehen hätte.
Tja; in Anbetracht der obigen Lancet Studie, die behauptet 23% der Fälle 2010, was dann sowas wie 600 waren, seien nicht gemeldet worden, geschah meines Wissens absolut gar nichts.

Ich gehe davon aus, dass wenn irgendeine Polizeistelle oder Staatsanwaltschaft irgendwo in D erfahren würde, dass ca. 6000 mögliche Notwehrfälle mit tödlichem Ausgang pro JAHR in D den Behörden nicht zur Kenntnis gelangen, sondern die Leichen halt einfach so entsorgt werden, dass dann die betreffende Stelle irgendwas deswegen tun würde (ich nehme hier mal an, dass jemand der in Notwehr tötet im Prinzip eine Pflicht hätte, das den Behörden zu melden, statt die Leiche einfach zu verscharren und die Tötung zu verschleiern; ist zwar meines Wissens nirgendwo explizit, aber in der Praxis existiert eine solche Pflicht alleine schon, weil einem das Nachher keiner mit der Notwehr glaubt, wenn man heimlich die Leiche verscharrt).

edit:
Noch zwei weitere Information aus einem weiteren Artikel:
https://www.thescottishsun.co.uk/news/5 ... nel-rules/

"Paperwork, which was given to a Regional Review Committee, showed that the only way the doctor could complete the injection was by getting family members to help restrain the patient.

It was also revealed that the patient said “I don’t want to die” several times before she was put to death and the doctor did not speak to her about what was planned as she did not want to cause unnecessary distress."

"Paperwork, which was given ..." erweckt zumindest den Eindruck, dass da wirklich nicht mehr passiert ist, als dass es eben einen Bericht an die Kommission gab und sonst nichts.

Und es geht zwar nicht klar hervor, wie zeitlich nah die Patientenaussagen "I don't want to die" zu dem eigentlichen Ereignis waren; aber wenn jemand zeitlich zumindest nicht fern sagt, dass er nicht sterben will, und dann bei Vornahme der aktiven Sterbehilfe sich aktiv dagegen wehrt, erscheint es zumindest denkbar, dass derjenige in dem Augenblick schon eine grobe Vorstellung hatte, dass er gerade getötet werden soll und dass er gerade dagegen Einwände hat.

Sowas sollte man genau untersuchen, vor allem auch durch Befragung der noch lebenden Zeugen des Vorgangs, um dann beurteilen zu können, ob Gegenwehr und "I don't want to die" sowie die zeitliche Nähe letzteren zu ersterem eventuell darauf hindeuten, dass die Tötung entgegen dem Willen der Getöteten erfolgte.

Ferner schlöße auch die Erkenntnis, dass die Betreffende gerade fantasierte von einem Tentakelmonster getötet zu werden, einen der Tötung entgegenstehenden Willen nicht aus; denn wer gerade von einem Tentakelmonster nicht getötet werden will, der will üblicherweise gerade überhaupt nicht getötet werden, womit es irrelevant sein könnte, wenns eben doch eine fürsorgliche Ärztin statt einem Tentakelmonster war.
Charon-
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Re: Sterbehilfe gegen körperlichen Widerstand

Beitrag von Charon- »

http://www.thelancet.com/journals/lance ... 40-6736(12)61034-4/abstract
Der Link funktioniert nicht.
aber da möglicherweise 20%+ aller Fälle von aktiver Sterbehilfe entgegen dem Gesetz möglicherweise nicht der zuständigen Kommission gemeldet werden
möglicherweise [..] möglicherweise...

Da stehen eine Reihe von Problemen davor, z.B. das naheliegendste: Woher kennt "thelancet" die Gesamtzahl der Behandlungen, wenn darunter Fälle sind, die dem Kommitee nicht gemeldet wurden? Gibt es eine andere Behörde, die diese Fälle erfasst? Und weiter: Sind alle diese Fälle auch wirklich Sachverhalte, in welchem das Kommitee hätte beteiligt werden müssen, oder gibt es gesetztliche oder tatsächliche Ausnahmen?
Aber man sollte einen starken Anstieg auf jeden Fall dahingehend untersuchen.
Ob man das "auf jeden Fall" machen muss, oder ob sich das anbietet, oder was auch immer, kann hier dahinstehen, da wir hier von einem Dammbruch reden, nicht vom Umgang mit der Statistik.
Da es ferner in Rechtsstaaten eher unüblich ist, Ermittlungsbefugnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft auf Dritte zu übertragen
Ah, der deutsche Staat, der eine Amtsermittlungspflicht vorsieht, ist also unüblich? Interessant.
ist die Vermutung, diese Kommission hätte solche Befugnisse, des Belegs bedürftig und nicht umgekehrt
Ok, bitte schön: Art. 8 Nr. 3 Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding: De commissie kan bij de gemeentelijke lijkschouwer, de consulent of de betrokken hulpverleners inlichtingen inwinnen, indien dit voor een goede beoordeling van het handelen van de arts noodzakelijk is.
oder auf Englisch (und damit wahrscheinlich unvollständig:)
"The committee may make enquiries at the municipal autopsist, the consultant or the providers of care involved where this is necessary for a proper assessment of the physician's actions"

Ob damit auch beim Tode anwesende Verwandte umfasst sind, entzieht sich meiner Kenntnis, zumindest ist das Kommitee nicht nur auf das Lesen des Berichts beschränkt (dessen Ergänzung es übrigens verlangen kann, Art. 8 Nr. 2).
Und bezüglich letzterem, seit wann verzichten Polizei und Staatsanwaltschaft darauf irgendwas über die Aussage desjenigen hinaus zu ermitteln, der sich ggf. eines Tötungsdeliktes schuldig gemacht hat?
Wer sagt denn, dass darauf verzichtet wird?
So sollte das üblicherweise in einem Rechtsstaat ablaufen?
:ironie: Nein, in einem Rechtsstaat hat sofort ein bewaffnetes Sondereinsatzkommando unter Einsatz von Tränengas das Haus zu stürmen, den Anrufer und seine Frau mit vorgehaltener Waffe zu fixieren und in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verbringen, wo beide erstmal stundenlang verhört werden, während das gesamte Haus auf der Suche nach Hinweisen darauf auseinandergenommen wird, ob nicht doch ein teuflischer Plan dahinter steckt. :ironie:

Übrigens, wenn wir schon mit dem Anruf arbeiten wollen, dann war der:
"Hallo Polizei, vor sechs Wochen ist einem Krankenhaus jemand gestorben, nun besteht der Verdacht, dass der Tod von einem Dritten herbeigeführt wurde. Der Betroffene hat die Tat gestanden und die Umstände umfangreich dargelegt".

Und wie soll deiner Meinung nach die Reaktion der Polizei sein? "Halten Sie den Mann fest, wir schicken das SEK mit Tränengas und bereiten den Verhörraum vor"?
Einerseits, dass ich nie irgendwo gelesen habe, dass die sowas machen;
Die STA befragt keine Zeugen???
die sind personell gar nicht zu anderem in der Lage als Berichte zu lesen und ggf. telefonisch oder schriftlich nachzufragen.
Und über die personelle Ausstattung des Kommitees weißt du woher bescheid?
Die hocken ja auch geografisch nicht überall
Wir reden über die Niederlande, das Land, wo man in zwei Stunden von einem Ende zum anderen kommt. Und da willst du mit Wegstrecken argumentieren?
in Anbetracht der obigen Lancet Studie, die behauptet 23% der Fälle 2010 [..]geschah meines Wissens absolut gar nichts.
1. Siehe oben zu meinen Zweifeln an der "Studie"
2. Hat lancet denn diese Fälle bei der StA angezeigt?
dass dann die betreffende Stelle irgendwas deswegen tun würde
Wenn das irgendein Waffenmagazin in den UK behauptet? Ich bezweifle das.
erweckt zumindest den Eindruck,
Möglicherweise, erweckt den Eindruck, könnte sein, ich lese nichts darüber....So wird das mit dem Dammbruch nichts.
erscheint es zumindest denkbar, dass derjenige in dem Augenblick schon eine grobe Vorstellung hatte, dass er gerade getötet werden soll und dass er gerade dagegen Einwände hat.
Das in dem vorliegenden Fall ggf. eine Straftat vorliegt, hat die Kommission doch genauso gesehen, das weitere ist Aufgabe der StA und, letztlich, ggf. des Richters.
Um der allgemeinen Sprachverwirrung des Siezens entgegenzuwirken, biete ich jedem Nutzer das dänische Umgangsduzen an.
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